Plutonium Boy – Ein Image-Film mit gravierenden Fehlern

Als in den 1960ern die ersten Atomkraftwerke in Japan aus dem Boden sprossen, traf die japanische Atomlobby Vorkehrungen, um den Protest der Öffentlichkeit im Keim zu ersticken. Der Schock in der Bevölkerung war groß, als die Regierung beschloss, Atomkraft im eigenen Land zu etablieren. Mit dem Atomschlag der USA gegen Japan zum Ende des Zweiten Weltkriegs machte sich Unsicherheit breit. Japan ist das einzige Land, in dem Kernwaffen bisher zum Einsatz kamen. Mit solch einer negativen Erfahrung vorbelastet, ist es heute nahezu paradox, dass ein Land wie Japan nur 20 Jahre nach Ende des Krieges seinen ersten Meiler in Betrieb nahm.

Ohne mediale Maßnahmen wäre es ein aussichtsloses Unterfangen gewesen, Atomkraft im eigenen Land zu etablieren. Schon zu Kriegszeiten war die mediale Aufbereitung politischer Ideologien ein Mittel, die Masse des Volks zu kontrollieren. Nicht nur Japan, auch Deutschland, die USA und andere Länder nutzten Propaganda im großen Stil. Doch anders als zu Kriegszeiten stand die Wirtschaftlichkeit des Landes im Vordergrund, nachdem sich das Land von der Niederlage erholt hatte. Die Nation benötigte Ikonen, die ihr die Angst vor der Atomtechnologie nahm. Eine Werbefigur sollte es sein, die aufklärt und lächelt, die Angst zügelt und für eine bedenkenlose Zukunft sorgt.

Kein Mittel war und ist für Japan geeigneter, als eine freundlich gesinnte Comic-Figur mit Superkräften. Zu Beginn fand Astroboy (Tetsuwan Atomu) seinen Weg zu den japanischen Bürgern, indem er regelmäßig im Fernsehen über den Bildschirm flimmerte. Sein Markenzeichen war Hochtechnologie, mit der er Gerechtigkeit walten und das Böse bekämpfen konnte. So schlich der kleine Astroboy in der Medienwelt Japans umher, erschien im Manga und Anime-Format und erfreute sich einer Beliebtheit, die ihn selbst einen Platz im westlichen Fernsehen besorgte. Auszusetzen gab es an dem Jungen mit markanter Spitzen-Frisur nichts, denn nur unterschwellig wurde die Begeisterung des Volks für Hochtechnologie geweckt.

Eine Plutonium-Scheibe auf einem Calciumchlorid-Block.

Einen Fehltritt leistete sich Jahre später die „Power Reactor and Nuclear Fuel Development Corporation“ (PNC) mit einem Image-Film, der international auf harte Kritik stoß und kurz nach seiner Erstausstrahlung wieder eingestellt wurde. Die Rede ist von „Plutonium Boy“ (puruto-kun). Mit fröhlich heller Stimme stellt sich das kleine Geschöpf im Video vor und sorgt laut PNC für die Aufklärung der Öffentlichkeit über das radioaktive Element Plutonium. „Hallo, ich bin das kleine Plutonium. Ich hasse Krieg und setze mich für Frieden ein“, lässt sich der Einstieg des Image-Films zusammenfassen. „Plutonium Boy, unser verlässlicher Freund“, propagiert das Video wenig später und schüttelt kurz darauf die Hand unserer Erde. Die Botschaft ist eindeutig und sollte nachhaltig den Bau weiterer Atomkraftwerke fördern. Nicht umsonst wählte man Plutonium als Ikone des Image-Films. Vor der Katastrophe in Fukushima schmiedete die Regierung noch Pläne, den Schnellen Brüter als Kraftwerkstypen im eigenen Land zu verbreiten. Genau jenes Kernkraftwerk, das mehr Plutonium erzeugt, als es verbraucht.

Plutonium Boy erklärt, die Angst vor ihm sei unbegründet. Allerdings vermischen sich gravierende Fehler in seine Ausführungen. So beteuert er, es bestehe keinerlei Gefahr beim Hautkontakt mit dem radioaktiven Element. Selbst das Verschlucken von Plutonium sei unerheblich, da es wieder ausgeschieden werden kann. Zwar ist die α-Strahlung von Plutonium weitaus geringerer, als bei Uran, sodass direkter Hautkontakt wenig Wirkung zeigt, doch eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Dass das Metall unter keinen Umständen in den Körper gelangen darf, davon haben die Macher des Videos offenbar nichts gewusst oder ihre Unwissenheit durch bloße Mutmaßung vertuscht.

Wieder und wieder wird der politische Kanon auch im Video wiederholt, es gäbe keine belegbaren Fälle, dass Plutonium Krebs hervorrufen könnte. Einzeln präsentiert das Video Aufnahmen von Atomkraftwerken und propagierte eine Sicherheit, die durch heitere Melodien im Hintergrund und Aufnahmen des technologischen Fortschritts hervorgerufen wird. Mit der aufkeimenden kritischen Bewegung in Japan, wie sie der Film „Radioactivists“ verdeutlicht, dürfte es der Atomlobby schwer fallen, das gute Image der Atomtechnologie heute erneut aufleben zu lassen.

TEPCO – Teil 2: Von der Katastrophe bis zur Gegenwart

Ein Wunderwerk der Technik. Ein Symbol für die Zukunft des Landes, für ein goldenes Zeitalter. Sicherheit, Verlässlichkeit und Transparenz propagiert der Image-Film Tepcos in den unteren beiden Videos. Die Nation sollte keinen Anlass zu Beunruhigung haben. Atomkraft ist sicher, besonders in den Händen Tepcos. So führen die Videos in den Bau des Kernkraftwerks ein und vermitteln stolz die moderne Technologie, die von dem Meiler ausgeht. Ausgeschmückt mit lobenden Attributen und dem Hantieren beeindruckender Zahlenwerte versucht Fukushima I zu überzeugen. „Die Reaktoren unseres Landes sind ein Modell innovativen Ingenieurwesens im Bereich der Atomkraft. Die neue nukleare Energie, die hier geboren ist, wird eine großartige Energie sein, die all unser Leben unterstützt“, verkündet der Sprecher zum Abschluss. Nahezu zynisch mag es nach der Katastrophe klingen. Doch weshalb sich nach diesem Film sorgen machen? Spätestens seit März 2011 gab es die Antwort: den Beschönigungen Tepcos ist nicht mehr zu glauben. Das Unternehmen hat sein Gesicht verloren. Selbstverschuldet, und das auf unbestimmte Zeit.

Nach dem 11. März hatte das Misstrauen in Tepco einen unbekannten Grad erreicht. Bereits die Jahre zuvor stand der Energieversorger vereinzelt in den Schlagzeilen der japanischen Medien, konnte durch die enge Verzahnung mit Politik und Aufsichtsbehörden aber immer wieder den Kopf aus der Schlinge ziehen. Nun stand das Unternehmen vor dem Bankrott, denn der Schaden wuchs ins Unermessliche. Tepco musste haften.

Die wahren Informationen im Angesicht der Katastrophe zurückhaltend, versuchten die Manager Tepcos, das Problem traditionell herunterzuspielen. Es bestehe keinerlei Grund zur Beunruhigung. Die Gesundheit stehe nicht auf dem Spiel. Ein Meister im Verleugnen, der mit dem Leben der Einwohner in der Präfektur Fukushima spielt. Als die ersten Medien mit dem Unternehmen ins Gericht zogen, ließ das Bollwerk aus Verschleierung und Lügen nach. Zum eigenen Fehler stehen wollte man nicht. So schoben TEPCO, Politik und Bürokraten in Form der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA die Verantwortung hin und her. Zu groß war die Angst, die Last des Unglücks auf den eigenen Schultern zu tragen. Es brauchte ein Machtwort, um sich dem Chaos zwischen Missmanagement und Desinformation zu entledigen.

Der ehemalige japanische Premierminister Naoto Kan im Jahr 2011. (Copyright © World Economic Forum, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Damaliger Ministerpräsident Naoto Kan reiste aus diesem Anlass am 15. März höchstpersönlich in die Zentrale Tepcos um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. „Was ist hier eigentlich los?“, drang er auf die Manager ein und ernannte sich kurzerhand selbst zum Chef des Krisenstabs. Weshalb diese Verschwiegenheit? „Was die Welt derzeit erlebt, ist die typisch japanische Angewohnheit, Pannen zu vertuschen – aus Scham und falsch verstandenem Gruppen- oder Firmengeist. Dabei ist das Unglück doch längst für alle offensichtlich“, schreibt der Spiegel noch am selben Tag. Falscher Stolz und die Angst vor dem Aus, dem finanziellen wie dem gesellschaftlichen. Die Frage, warum die Arbeiter lange zögerten, um Salzwasser in die überhitzten Blöcke zu pumpen, ist nach diesen Informationen einfach zu beantworten. Tepco sah seine Priorität in der Erhaltung des eigenen Besitzes. Das Kernkraftwerk sollte gerettet werden. Das Salzwasser hätte die Reaktoren auf lange Sicht beschädigt. Ein Verlust, der sich erst Stunden, wenn nicht Tage später in Kauf nehmen ließ.

Noch während der Bewältigung des Unglücks verhandelte Tepco um Notkredite. Allmählich wurde dem Versorger klar, welche finanzielle Last sich auf ihn legt. Sieben Finanzinstitute erklärten sich bereit, eine Summe von zwei Billionen Yen (17 Milliarden Euro) dem Unternehmen zu überlassen. Durch Anleihen verfügte Tepco über 670 Milliarden Yen an liquiden Mitteln. Das Geld war bitter nötig, denn zehntausende Einwohner der Präfektur Fukushimas galt es zu entschädigen. Doch das Geld der Banken wurde für andere Zwecke gebraucht. Reparaturen waren wichtiger, da Atomkraftwerke und andere Anlagen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Für die Betroffenen blieb später eine Summe von umgerechnet 8000 Euro, pro Familie, nicht pro Kopf. Ein äußerst knapper Betrag, um das verlorene Hab und Gut zu ersetzen. Doch Tepco konnte nicht mehr entbehren. Der Staat musste nun für den Wiederaufbau herhalten. Nach japanischem Gesetz muss die Regierung im Falle der Beschädigung eines Kernkraftwerks infolge einer Naturkatastrophe die ersten 120 Milliarden Yen der Reparaturkosten aufbringen. Ein wahrer Segen für den Energieversorger, wenn gleich das Volk die Kosten auf sich nimmt. Es rief nach einer Erhöhung von Steuern und Strompreisen.

Zur Finanzierung der Katastrophe stellte die japanische Regierung einen öffentlichen Fonds zur Verfügung, der mitunter die Entschädigungszahlungen für die Opfer begleichen sollte. Der Staat griff Tepco mächtig unter die Arme. Ein erstes Aufatmen für den Energiekonzern. Doch im Gegenzug wurde das Unternehmen stärker kontrolliert, auch wenn man von einer Verstaatlichung absah. Die Aktienkurse Tepcos hatten seit der Katastrophe vom 11. März um 80 Prozent an Wert verloren. Hinzu kamen erwartete Schadensersatzforderungen in Höhe von zehn Billionen Yen (84 Milliarden Euro). Mit dem Fond sollte Tepco vor dem finanziellen Aus bewahrt werden. Als zinsloses Anleihen wurde der öffentliche Fonds eingerichtet, der vom Konzern zurückgezahlt werden soll.

Ein weiteres Gesicht mischt sich nach der Katastrophe unter die weltweiten Medien. Der Präsident Tepcos, Masataka Shimizu, stellte sich einen Tag nach der Katastrophe nur kurz der Presse vor, ohne Andeutungen auf die Krisenbewältigung zu machen. Mehrere Tage verschwand er danach von der Bildfläche. Man spekulierte über einen Selbstmord, doch Shimizu hatte sich lediglich krank gemeldet. Von Bluthochdruck und Schwindelanfällen geplagt, wurde er in ein Krankenhaus eingewiesen. Einen Monat nach der Katastrophe kehrte er zurück, in blauer Montur des Energieversorgers. Es hieß zu trauern und so versenkte er sein Haupt für Minuten. Masataka Shimizu wirkte schwach und resignierend, als sei nichts mehr zu retten. Sein Gesicht hatte er auf Dauer verloren und so waren seinen Worten an die Presse nur noch Bestürztheit und Bitten um Verzeihung zu entnehmen. Antworten auf Fragen gab es keine. Shimizu schwieg. Zwei Monate später musste er den Posten räumen. Sein Nachfolger ist Toshio Nishizawa, ein ehemaliger Direktor und Manager Tepcos. Mit seinem Rücktritt nahm Shimizu die Verantwortung mit sich. Er versuchte, für die Pannenserie und die Milliardenverluste Tepcos gerade zu stehen.

Im Juli 2011 rückten erneut die Opfer der Atom-Katastrophe in den Blickpunkt der Regierung. Schätzungsweise 850 Euro sollte der AKW-Betreiber allen Betroffenen als finanzielle Stütze zahlen. Pro Monat, den die Menschen nicht in ihrem Haus verbringen konnten. Die 20 bis 30 Kilometer große Evakuierungszone umfasste 160.000 Bewohner, die in Notunterkünften ihr Dasein fristeten. Laut der Nachrichtenagentur Kyodo betrugen die Schadensersatzzahlungen umgerechnet 52 Milliarden Dollar. Diese gewaltige Summe, die Sicherung der Reaktoren von Fukushima Daiichi und die gesunkene Nachfrage nach Storm durch die Sparmaßnahmen der Japaner forderten Tepco finanziell heraus. Wie sollte das Unternehmen diesem angesetzten Todesstoß Herr werden? Die Leidtragenden waren umso mehr die Arbeiter. Die Regierung forderte im September vergangenen Jahres die Restrukturierung Tepcos und sah einen drastischen Stellenabbau, die Abtretung von Aktienanteilen und gekürzte Rentenzahlungen vor. Um weiterhin liquide zu bleiben, forderte die Regierungskommission die Wiederinbetriebnahme der übrigen Kernkraftwerke Japans und eine Erhöhung der Strompreise. Bis heute wurde allerdings kein Kraftwerk hochgefahren.

Das Atomkraftwerk Fukushima I. Im Vordergrund der Reaktorblock 1. (Copyright © Kawamoto Takuo, Lizenz: CC BY 2.0)

Die letzten Monate des Jahres 2011 waren von staatlichen Finanzspritzen durchsetzt. Tepco durfte nicht aufgegeben werden, denn der Energieversorger ist eng an das Stromnetz Tokios gekoppelt. Eine Abschaltung wäre undenkbar. Nachdem im Januar der AKW-Betreiber weitere Finanzspritzen über den öffentlichen Fonds forderte, zieht der Staat die Übernahme von zwei Dritteln der Anteile Tepcos in Betracht. Der Energieversorger könnte nach 60 Jahren Privatwirtschaft verstaatlicht werden. Japan selbst erhofft sich damit auch eine Veränderung der Energiepolitik des Landes. Bisher stellt sich der Konzern vehement gegen eine Aufhebung der regionalen Monopole und den Ausbau erneuerbarer Energien. Die Geschichte der Tokyo Electric Power Company als privates Unternehmen ginge damit zu Ende. Welchen Weg Japan danach bestreitet, liegt einmal mehr in den Händen der japanischen Regierung. Eine fragwürdige Zukunft bei Regierungsvertretern, deren Misstrauen gegenüber dem Tepcos in nichts nachsteht.

Quellen: Spiegel Online | Japanmarkt